Lernen aus der Pandemie: Resilienz erhöhen

SMART DEVELOPMENT NEWS 2020

Resiliente Organisationen
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von Ralf Schäfer, Leitender Berater

Unternehmen sind in den vergangenen Monaten auf eine harte Probe gestellt worden. Für viele war es eine für sie bisher nicht gekannte Berg- und Talfahrt, getrieben von schnellen und teilweise disruptiven Veränderungen, für die sie pragmatisch Lösungen finden mussten. Einige haben dabei schmerzlich erfahren, dass sie im Umgang mit veränderten Rahmenbedingungen nicht adäquat aufgestellt sind.

Das simpel anmutende Thema „Arbeiten unter Kontaktbeschränkungen“ hat bereits eklatante Unterschiede im Umgang mit dieser Thematik zutage gefördert. Sowohl kulturelle Positionen – für die einen ist Heimarbeit selbstverständlich für andere die Elimination jeglicher auf zwischenmenschlicher Interaktion beruhender Kreativität - als auch die vorhandene technischen Ausstattung und das personelle Qualifikationsniveau sorgen für Sand im gut geölten Getriebe der F&E-Organisation. Andere Unternehmen wiederum konnten ihre Entwicklung schnell umstellen und Vorteile realisieren indem sie ihr Produktportfolio auf die sich bietenden Marktchancen ausgerichtet haben.

Merkmale einer resilienten Organisation

Was zeichnet Unternehmen aus, die ihre Geschicke besser als andere ihrer Vergleichsgruppe durch veränderte Umgebungsbedingungen lenken? Allen gemein ist der Wille, Erfolg am Markt zu haben; die Wege dorthin unterscheiden sich jedoch signifikant vor allem in Bezug auf die Fähigkeit mit hoher Geschwindigkeit möglichst reibungsarm die gesamte Wertschöpfungskette von der Produktidee bis zur Realisierung zu durchlaufen. Dies gelingt vor allem Unternehmen, welche über eingespielte Teams verfügen, die alle erforderlichen Kompetenzen dazu haben bzw. damit ausgestattet sind. Unter Kompetenzen sind hier sowohl die individuellen Fähigkeiten der handelnden Personen zu verstehen als auch die Befugnisse alle erforderlichen Entscheidungen zu treffen, um unnötige Schleifen zu minimieren.

In größeren Organisationen ist ein solcher Zustand in der Regel nicht das Ergebnis einiger verteilt im Unternehmen im Sprint durchgeführten Einzelmaßnahmen. Vielmehr gleicht es einem gut vorbereiteten Mehrkampf in verschiedenen Disziplinen. Resiliente Organisationen zeichnen sich vor allem durch drei Merkmale aus:

Merkmal 1: Strategische Adaptionsfähigkeit

Resiliente Organisationen kennen Ihre Kernkompetenzen genau. Diese basieren auf implizitem in einem langjährigen organisationalen Lernprozess erworbenen Wissen. Dies versetzt sie in die Lage, proaktiv und kurzzyklisch die Attraktivität potenzieller neuer Geschäftsfelder vor dem Hintergrund ihrer Kernkompetenzen zu bewerten und eine Eintrittshürde in diese niedrig zu halten.

Im Vergleich zum traditionellen Strategieprozess, der sich auf die Auswahl eines Szenarios beschränkt, um mehrjährig gültige strategische Leitplanken für das Unternehmen zu formulieren, verfolgen resiliente Organisationen einen szenariobasierten Ansatz, der gleichzeitig mehr Handlungsoptionen verfolgt. Diese werden bei entsprechenden Marktsignalen konkretisiert und schnell operationalisiert. Der klassische Strategieprozess erfährt in der Regel einmal im Jahr eine Überprüfung. Nicht selten aber halten Unternehmen an der Grundausrichtung fest und passen nur die strategischen Initiativen an. Ihr Produktportfolio orientiert sich an dieser Grundausrichtung. Dies macht es schwer für innovative Ansätze, welche klare Vorteile aufweisen aber der Grundausrichtung zuwider laufen - diese benötigen dann länger bis sie sich durchsetzen.

Merkmal 2: Agile Führung

Fundmentale Unterschiede zeigen sich bei der Regelung von Verantwortlichkeiten. Während in traditionellen Organisationen Führungskräfte oft viele Verantwortlichkeiten in einer Person vereinen, setzen resiliente Organisationen auf eine klare Trennung.

Ein Entwicklungsleiter hat in der klassischen Organisation oft mehrere Verantwortungen, die zielkonfliktbehaftet sind. Zum Beispiel muss er dafür sorgen, dass Technologien soweit vorentwickelt werden, dass sie in Projekten zur Verfügung stehen. Gleichzeitig arbeitet er mit seinem Team an der Realisierung von Produktprojekten. Da er sein Team disziplinarisch führt, disponiert er die Ressourcen in den beiden Verantwortungsbereichen Technologie und Projekte. Natürlich muss er darüber hinaus dafür sorgen, dass sein Bereich die Effizienzziele erfüllt. Das Resultat kennen wir aus der Praxis nur zu gut: Ressourcen fließen in die Projekte, wann immer es schwierig wird. Technologien werden vernachlässigt und sind nicht reif für den Einsatz in Produktprojekten. Nicht selten zerreißt es Führungskräfte bei diesem Spagat. Alles wird möglichst gesichtswahrend gemacht aber nicht so, dass es den Anforderungen genügt. Zurück bleiben desorientierte Mitarbeiter, die auf die nächste Tagespriorität warten, statt selbst „das Richtige“ zu tun.

Agile Organisationen setzen neben einer sauberen Trennung der Verantwortlichkeiten auf intrinsische Motivation der Mitarbeiter. Sie schaffen Rahmenbedingungen damit Führungskräfte und Mitarbeiter den drei grundlegenden intrinsischen Bedürfnissen nachgehen können:

  1. Autonomie (Autonomy) - Menschen haben den Anspruch, selbstbestimmt zu arbeiten.
  2. Beherrschung einer Materie (Mastery) - Menschen wollen gut sein, in dem was sie tun.
  3. Sinn (Purpose) - Menschen wollen einen Sinn sehen, in dem was sie tun.

Deshalb spielt das sog. Catalyst Leadership in agilen Organisationen eine dominierende Rolle, anders als in klassisch geführten Organisationen, wo das Expert oder Achiever Leadershipmodell vorherrscht. Dominierend deshalb, weil alle drei Leadership-Modelle wertfrei koexistieren und sich in der Regel alle drei Typen in jeder Organisation vorfinden. Lediglich die mengenmäßige Verteilung ist unterschiedlich.

Merkmal 3: Operative Flexibilität und Effizienz

Resiliente Organisationen sind reaktionsschnell am Markt und schlank in ihren Prozessen. Das erreichen sie durch ihre Aufteilung der Verantwortung und eine organisatorische Aufstellung als Matrixorganisation.

Geschäftsbereiche sind dabei auf Märkte und Kunden ausgerichtet. Die Leitung eines Geschäftsbereiches trägt die Gewinn- und Verlustverantwortung. Innerhalb der Geschäftsbereiche sind alle Rollen angesiedelt, die für die Steuerung der Kernprozesse erforderlich sind. Sie arbeiten primär projektorientiert. D.h. der Ressourcenbedarf schwankt mit der Anzahl der Projekte. Deshalb hält man Geschäftsbereiche personell schlank. Projektteams werden mit Ressourcen aus den Geschäfts- und Fachbereichen gebildet, wobei die Projektleitung und wesentliche Steuerungsrollen für Produktmanagement, Entwicklung, Produktion und Vertrieb aus dem Geschäftsbereich besetzt werden.

Fachbereiche üben eine globale Fachverantwortung aus. Sie sorgen für eine einheitliche Anwendung von Technologien und das markentypische Look & Feel von Produkten und dafür, dass alle Projekte nach gleichen Prozessen arbeiten, Standards und Methoden einheitlich zur Anwendung kommen bzw. entwickelt werden. Dadurch realisieren sie Synergien und Effizienzpotenziale.

Zu guter Letzt

Haben Sie für sich einige Ansatzpunkte erkennen können? Wenn Sie an einer strukturierten Bestandsaufnahme interessiert sind oder gerne den einen oder anderen Aspekt vertiefen möchten, stehen Ihnen unsere Berater gerne zur Verfügung. Besser werden erfordert den ersten Schritt der Veränderung oder, um es mit den Worten von Erich Kästner zu sagen: „Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es.“

Tipps aus der Praxis

  • Machen Sie eine selbstkritische Bestandsaufnahme.
  • Beginnen Sie bewusst und sichtbar eine agile Führungskultur zu etablieren/praktizieren.
  • Arbeiten Sie gemeinsam mit Führungskräften und Mitarbeitern an der Stärkung der Veränderungsbereitschaft und kommunizieren Sie regelmäßig auch kleine Erfolge.
  • Werden Sie sich der Kernkompetenzen ihrer Organisation bewusst.
  • Formulieren Sie Ihre Strategie in Szenarien und halten Sie sich Optionen solange als möglich offen. Etablieren Sie einen Prozess der zyklischen Anpassung.
  • Entkoppeln Sie die vier Führungsdimensionen Produktverantwortung, Technologierverantwortung, Leistungsverantwortung und Disziplinarverantwortung personell.
  • Schaffen Sie eine Matrix-Organisation in der synergieorientierte Fachbereiche globale Standards für Produkte und Prozesse bereitstellen und kundenorientierte Geschäftsbereiche die Gewinn- und Verlustverantwortung tragen und die Steuerung der Kernprozesse übernehmen.
  • Balancieren Sie divergierende Anforderungen zwischen Synergie- und Kundenorientierung durch klare Regeln und Führung aus.