SCRUM unterstützt durch QFD
Auch die Anwendung agiler Arbeitsweisen bei der Entwicklung mechatronischer Produkte erfordert ein Product Backlog. Idealerweise werden die Product Backlog Items funktions- und nutzenorientiert formuliert. Dies ist bei der Entwicklung mechatronischer Produkte aber oft nicht zielführend. Im nachfolgenden Beitrag möchten wir Dir zeigen, wie durch die Einbeziehung von QFD die Arbeit am Product Backlog für mechatronische Produkte unterstützt werden kann.
Einleitend möchten wir damit beginnen, dass Quality Function Deployment (QFD) keine Erfindung aus dem 21. Jahrhundert ist. Diese Methode wurde bereits 1966 in Japan entwickelt, um die Übersetzung von Kundenanforderungen in Spezifikationsmerkmale von Produkten zu unterstützen. QFD ermöglicht so, die Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden zu verstehen und in konkrete technische Spezifikationen umzusetzen.
Die Methode besteht aus mehreren Schritten, die in einer Matrix dargestellt werden. In der ersten Phase werden die Kundenanforderungen ermittelt und in einer sogenannten House of Quality (HoQ) dargestellt. Diese Matrix zeigt die Beziehung zwischen den Kundenanforderungen und den technischen Merkmalen des Produkts.
Auch wenn diese Methode bereits vor einigen Jahrzehnten entwickelt wurde, hat sie auch heute noch einen unschätzbaren Wert bei der Produktentwicklung und im klassischen Anforderungsmanagement. Sie hilft dabei sicherzustellen, dass die Produkte den Bedürfnissen und Erwartungen der Kunden entsprechen. Kurz gesagt: Die Kundenzufriedenheit steigern und die Produktqualität verbessern.
Die Herausforderung in der Praxis
In unserem konkreten Beratungsprojekt bestand die Herausforderung in der Integration einer bisher nicht genutzten Technologie in Verbindung mit unklaren Marktanforderungen. In diesem komplexen Entwicklungsumfeld hat sich bereits früh abgezeichnet, dass eine Umstellung auf agile Arbeitsmethoden die erfolgversprechendsten nächsten Schritte sein werden.
Doch zunächst haben wir uns für den Einsatz von QFD entschieden, um sicherzustellen, dass die Kundenbedürfnisse stets im Fokus stehen und die Produktentwicklung auf klaren und priorisierten Anforderungen basiert.
Gemeinsam mit Produktmanagement und dem Vertriebsteam wurden die vielfältigen Kundenbedürfnisse aufgelistet und kategorisiert. Anschließend erfolgte die systematische Bewertung und Priorisierung der identifizierten Bedürfnisse mit Hilfe von QFD – ein entscheidender Schritt für die spätere Gestaltung und Priorisierung des Backlogs. Diese Ergebnisse des QFD-Prozesses wurden nahtlos in das Product Backlog integriert.
Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Komponenten wurden visualisiert und das Backlog entsprechend der berechneten Bedeutung für das Projekt priorisiert. Im Fokus stand dabei auch hohe Risiken durch iteratives Lernen frühzeitig im Projekt zu eliminieren. Begleitend konnten durch regelmäßige Reviews und Retrospektiven der Entwicklungsprozess optimiert, kontinuierlich Feedback eingeholt und sichergestellt werden, dass die Marktnähe erhalten bleibt und die Kundenbedürfnisse stets im Fokus stehen.
QFD am Beispiel
Gerne möchten wir den Einsatz von QFD an einem einfachen Beispiel noch einmal verdeutlichen. Unser reales Kundenprojekt können wir aus Gründen der Vertraulichkeit verständlicherweise nicht darstellen. Wir beginnen mit einem Überblick zu den 10 Schritten von QFD:
- Liste der Kundenanforderungen erstellen
- Kundenanforderungen priorisieren
- Kundenanforderungsbezogenes Benchmarking mit Wettbewerbern durchführen
- Kundenanforderungen in technische Produktmerkmale übersetzen
- Wechselwirkungen zwischen Kundenanforderungen und Produktmerkmalen definieren
- Technische Bedeutung für jedes Produktmerkmal berechnen
- Zielkonflikte bestimmen
- Technische Zielwerte für jedes Produktmerkmal festlegen
- Technischen Wettbewerbsvergleich durchführen (Produktmerkmale)
- Technische Schwierigkeit bewerten
In Schritt 1 bis 3 werden funktionale Kundenanforderungen gesammelt und priorisiert und in Schritt 4 in technische Produktmerkmale übersetzt.
Danach werden die Wechselwirkungen zwischen Kundenanforderungen und Produktmerkmalen bestimmt. Diese Wechselwirkungsmatrix steht im Zentrum des House of Quality. Sie beschreibt, welche technischen Parameter Einfluss auf die Erfüllung einer Kundenanforderung haben (Schritt 5) und wie groß der jeweilige Beitrag ist (Schritt 6). Auf diese Weise kann bestimmt werden, wie hoch der Gesamtbeitrag eines technischen Merkmals an der Gesamterfüllung der Kundenanforderungen ist.
In diesem Fall sind die Tintenformel mit dem Wert 72, die spezifische Tintenmenge mit dem Wert 72 und der Verschluss mit dem Wert 73 die wichtigsten technischen Parameter. Außerdem wird in Schritt 10 die technische Umsetzungsschwierigkeit, also das Risiko für die Realisierung des technischen Merkmals bestimmt.
Der Erfolgsschlüssel für ein strukturiertes Product Backlog
Inwiefern hilft uns das bei der Erstellung des Product Backlog weiter? Bilden wir die funktionale Kundenanforderung „schmiert nicht“ als User Story direkt im Product Backlog ab, so würden wir sowohl die Tinte, die Spitze und die Handhabbarkeit entwickeln. Also fast das gesamte Produkt. Leider ist es in vielen mechatronischen Entwicklungsprojekten genau so, daß eine Funktion erst durch eine Vielzahl von physischen Komponenten im Zusammenspiel mit Software demonstriert werden kann. Das erschwert die Priorisierung und einen schnellen Erkenntnisgewinn.
Nutzen wir QFD, so können wir den Product Backlog direkt nach Produktmerkmalen bzw. den bestimmenden Komponenten mit hohem Beitrag zum Kundennutzen strukturieren und priorisieren. Wir würden also z.B. die Entwicklung der Tinte hoch priorisieren, sie mit einer bereits bestehenden Spitze testen und kämen so frühzeitig zwei wichtigen Kundenanforderungen wie „ungiftig“ und „schmiert nicht“ näher. Gleichzeitig hätten wir ein mit 4 relativ hoch bewertetes Realisierungsrisiko frühzeitig adressiert.
QFD unterstützt also eine Strukturierung des Product Backlogs nach zu realisierenden Komponenten, was in einem Mechatronik-Entwicklungsprojekt einfacher ist, und lässt trotzdem eine Priorisierung nach Kundennutzen zu.
Ihr Nutzen
- Transparenz zu den Wechselwirkungen zwischen Kundenbedürfnissen und Produktmerkmalen schaffen
- Die Wichtigkeit von Produktmerkmalen und Komponenten ermitteln und darstellen
- Product Backlogs nach zu realisierenden Komponenten strukturieren und indirekt nach der Wichtigkeit von Kundenbedürfnissen priorisieren
- Die Brücke zwischen funktionsorientierten User Stories und handhabbaren Product Backlogs und in Mechatronik-Projekten schlagen