Und täglich grüßt das (Daily-)Murmeltier
SMART DEVELOPMENT NEWS 04/2019
„Muss das sein – wirklich täglich?“
„Was nutzt es mir, wenn ich sehe, wie mein Kollege aus der anderen Fachsparte seine gelben Zettel von links nach rechts hängt?“
Wer als Scrum Master in einem agilen Team im Hardware-Umfeld unterwegs ist, hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit schon einmal mit solchen Aussagen auseinandersetzen müssen. Und wer diese Art von Dialog schon hinter sich hat, weiß auch, dass es gar nicht so einfach ist, überzeugende Argumente dafür zu finden, dass ein Daily wirklich täglich stattfindet.
Gerade wenn eine Organisation sich noch nicht lange mit Agilität beschäftigt, fühlen sich die Mitglieder eines Scrum-Teams eher noch in ihrer Fachabteilung heimisch. Dann ist es schwer zu vermitteln, welcher Sinn dahintersteckt, sich täglich über den eigenen Fortschritt zu informieren. Zumal das Daily mit 15 Minuten „strictly timeboxed“ ist, also dann auch unbedingt fertig sein soll, und es technikverliebten Ingenieuren eher fremd ist, über technische Fragen nicht im Detail zu diskutieren. Jeder gibt also nur kurz den Status ab und nennt Hindernisse (Impediments), die ihn bei der effizienten Umsetzung seiner Aufgaben hindern.
Wie schafft man es, skeptische Teammitglieder abzuholen und für eine regelmäßige Teilnahme am Daily zu motivieren? Drei Argumente können dabei ein Türöffner sein:
1. Du bist jetzt nicht mehr nur für deine Fachdisziplin verantwortlich, sondern für das ganze Produkt
Es ist eine große Veränderung für Menschen in der Produktentwicklung, sich gesamtheitlich für ein Produkt, oder noch konkreter, für den Produkterfolg verantwortlich zu fühlen. Schließlich sind sie doch nur für eine bestimmte Disziplin wie z. B. Konstruktion oder Elektronik ausgebildet. In diesem Bereich verfügen sie über ausgeprägte Fachkompetenz.
Gerade hier liegt jedoch ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Agilität: Menschen lernen, über ihren eigenen Horizont hinaus zu schauen. Und das beginnt damit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich diesen neuen Teil meiner Verantwortung verinnerlicht habe, steigt auch das Bedürfnis zu erfahren, wie es um „mein“ Produkt steht. Damit wird, ohne dass ich die technischen Details der anderen Disziplinen verstehen muss, das Daily relevant für mich.
2. Wir arbeiten ergebnisorientiert im Sprint – der Sprint ist ein Commitment!
Und darum ist der tägliche Soll-Ist-Abgleich wichtig. Zunächst auch erst einmal nur für mich.
Ich bin ja selbstorganisiert und will niemandem gegenüber einen Report abgeben. Aber zugleich hat man mir Vertrauen geschenkt und das will ich nicht enttäuschen. Dass ich täglich offen und ehrlich überprüfe, ob mein Teil des Projektfortschritts so ist, wie er sein soll, gehört dann auch zu meiner Selbstorganisation.
3. In einem agilen Team arbeiten wir mit völliger Offenheit!
Das betrifft nicht nur die Kommunikation von technischen Fragestellungen bzw. den vielfältigen Meinungen dazu. Nein, auch mein Beitrag zum Gesamtergebnis soll offen gezeigt und für alle transparent dargestellt werden. Nicht, weil andere mich kontrollieren sollen. Ich will meinen Beitrag zeigen, weil ich ein wertvolles Teammitglied bin.
Wenn diese Haltung bei allen Teammitgliedern vorhanden ist, entstehen ein hervorragender Zusammenhalt und eine hohe Verlässlichkeit untereinander. Diese Basis ist notwendig, um ein High-Performance-Team zu schaffen. Wir alle kennen die Analogie mit einer Fußballmannschaft, in der jeder vom anderen weiß, dass er sich für das Team wichtige Körperteile aufreißt. Da hängt sich jeder nicht nur für sich selbst, sondern auch für den anderen voll rein!
Daily Scrums sind ein Gradmesser für das agile Mindset
Notwendigkeit und Sinn eines täglichen Dailys können nicht mit Argumenten begründet werden, die mit der traditionellen Teamarbeit zusammenhängen. Oft sitzen die Menschen in agilen Teams eng beieinander. Damit wird die spontane Abstimmung zwar einfacher. Sie klappt aber auch nicht immer optimal, da die Menschen sehr vernetzt arbeiten und dadurch häufig nicht am Schreibtisch sind.
Zum Daily sind dagegen immer alle anwesend. Meist bleiben dann nach dem kurzen, 15-minütigen Austausch noch viele vor Ort, um technische Fragen in kleinen Runden zu diskutieren. Diese hervorragende Möglichkeit wird von allen gerne genutzt, aber als expliziter Grund für das Daily nicht gelten gelassen.
Die Akzeptanz eines täglichen Dailys ist ein guter Gradmesser für das agile Mindset. Die Gründe, die Teammitglieder motivieren daran teilzunehmen, liegen in den Bereichen, die mit der Agilität neu entdeckt bzw. entwickelt werden sollen: ganzheitliche Produktverantwortung, kurzzyklische Ergebnisorientierung und Offenheit im Team – auch in Bezug auf Performance. Ein guter Scrum-Master thematisiert dies auch immer wieder in der Retro oder in Einzelgesprächen, um den agilen Reifegrad seines Teams weiterzuentwickeln.
Insoweit grüßt dieses „Daily-Murmeltier“ wirklich täglich. Allerdings nicht wie im Film, bis die Teammitglieder zu „besseren“ Menschen geworden sind. Nein, hier ist es eher andersherum: Ein zunehmendes agiles Mindset bei den Teammitgliedern führt dazu, dass sie dieses täglich erscheinende Murmeltier immer mehr schätzen und lieben lernen und es am Ende nicht mehr missen wollen.